Cristina Messnik  

                                                                                         

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                           ***

Es war ein Sommertag, mit Sicherheit, denn es war warm und ich erinnere mich, den ganzen Nachmittag draußen gespielt zu haben. Ich hatte nicht viel an, höchstens ein Leiberl und kurze Hosen. Das Laufen brachte mich zum Schwitzen und trotzdem hörte ich nicht auf mit den anderen 1,2,3 zu spielen. Fangen war es, in Rumänien 1988. Der salzige Geschmack von Schweiß auf meiner Stirn, im schnellen Durchgang beim Abwischen mit bloßer Hand, machte mir nichts aus. Die strahlend gelbe Sonne mit seinem Licht so stark spiegelte mir den Weg, sodass ich für kurze Momente Flimmern in der Luft gesehen habe.

Ich liebte es draußen mit den anderen Kindern zu spielen. So konnte ich in den Sommerferien den ganzen Tag spielen, um ja nicht ins Haus gehen zu müssen, denn Mama hatte immer Aufgaben für mich, tu dieses und jenes und das mochte ich nicht gern. Und wenn ich doch drinnen helfen musste, begann ich auf der Stelle zu träumen und beamte mich weg. 

Aber an dem so schönen Tag, war das nicht der Fall. Ich durfte draußen sein, Mama war in der Arbeit und tata passte auf mich auf. Ich sehe ihn auch heute noch vor meinen Augen. Er saß auf einem Taburett, beim Eingang unseres Blockgebäudes, wo wir im Erdgeschoß wohnten, und sah mir beim Spielen zu und scherzte nebenbei mit ein Nachbarn. 

           - Cristinica, bringst du mir bitte meine Zuckerln von der Küche? 

           - Aber ich spiele jetzt tata, kann ich es später?

           - Nein, komm schon, mach es jetzt. 

Und so löste ich mich von dem Spielen und brachte tata die Tabletten und Zigaretten, die er wollte. Dies waren seine Zuckerln.

So ein schönes Bild es war, so traurig war das Ganze ein wenig später. Denn tata ist im Alter von 49 Jahren gestorben, ich war gerade mal 9 und die Zuckerln, die ich ihm brachte, waren Morphin um seine Schmerzen zu lindern. Über die Zigaretten sage ich nichts mehr. 

Wie Ricardo Piglia einmal sagte: „Un cuento siempre cuenta dos historias“, eine Geschichte erzählt immer zwei Geschichten, so war es bei uns auch: einerseits das unschuldige 9-jährige Mädchen, das nur Spielen im Kopf hatte und auf der anderen Seite die Schmerzen und das Leid meines Vaters. Die Krankheit machte ihn so schwach und griff seinen Bewegungsapparat an, sodass er nur schwer gehen konnte. Darum das Taburett und das Sitzen im Treppenhaus. 

Ich frage mich, wo ist die Bedeutsamkeit dieser Erinnerung? Wenn ich damals gewusst hätte, dass tata so krank war, um zu sterben, hätte ich bestimmt nicht mit den anderen gespielt und hätte ihm auch nicht die Zigaretten, die die Lungen attackiert haben, gebracht. 

So gebe ich mich jetzt nicht zufrieden, ich war zu jung und das Ganze zu groß für mich war, um es zu begreifen, zu schätzen und es festzuhalten.

                                         ***

Mit Tagen noch und kurz vor seinem Tod, mein Vater wurde aus dem Krankenhaus nach Hause gebracht. Meine Mutter und ihr Schwester pflegten ihn zu vor, abwechselnd. Diese Zeiten, der Jahr 1989, turbulenten Zeiten eines Regimes, dass längst hätte fallen sollen, diese grausamen Zeiten raubten mein Vater, zu jung noch um zu gehen. 

Und ich besuchte ihn im Krankenhaus und selten sah ich jemand in weißen Kittel, als wäre alles leer. Eine ungewohnte leere Welt nahm ihm gefangen und diese große Leere wollte auch mich verschlingen. Zu ihm zu gelangen, musste ich zunächst durch eine weiße, ebenso große Tür gehen, die ich nur mit Mühe öffnen konnte. Sie zeigte einen finsteren Raum voller Betten, die von Menschen belegt waren und in dem mein sterbender Vater, von einem aufgeknöpften Hemd bedeckt war, das über seinem kranken Körper hing zerknittert.

Manchmal erkannte er mich nicht. Er stöhnte und starrte an die Decke und das machte mir Angst. Ich erinnere mich, dass meine Mutter mit ihm sprach:

           - Schau tată, Cristina ist da.

Und dann passierte etwas mit ihm, was mir noch mehr Angst jagte. Der Versuch, sich im Bett zu drehen, sein Blick zu zeigen, misslingt ihm so, dass er immer lauter zu stöhnen begann, als würde ihm jemand Schmerzen zufügen und letzendlich ihm Tränen aus den Augenwinkeln liefen. Eine nach der andere, Träne für Träne strömten über sein Kissen und ich verstand nicht, weshalb.

           - Hast du Schmerzen, tata? fragte ich. 

Und fest drückte mein Hand in seinem, ich wusste nicht der Schmerz nachgehen oder mit ihm zu weinen und Mama schimpfte mit uns beiden.

           -  Hört auf! Tată, du wirst nach Hause kommen.

Es schmerzt mich, diese Geschichte zu erzählen. Ich atme tief durch und gehe zurück in das verdunkelte Krankenhauszimmer mit den hohen, riesigen, weißen Wänden, mit schiff hängenden Vorhängen an Fenstern umrahmten von einem weiß gestrichenen Holz, die nicht mehr weiß aussah. Ein Apriltag es war. Die kalte unverschämte Luft nahm Platz uneingeladen und neben dem Bett meines Vaters lag ein Bekannter. Jetzt weiß ich nicht mehr, ist er vor meinem Vater nach Hause gegangen?

Letztendlich gaben sie ihn frei. Erst dann hatte ich ein Arzt gesehen.  An Bett von meinem Vater, stand grad ein Mann und sagte:

           -  Er solle besser mit nach Hause gehen.

Und Mama tat auch so. Tata erkannte niemanden mehr. Er war hin und her gerissen zwischen dem irdischen Leben und die danach. Noch war es unentschieden. 

Unser Haus, mit viele Menschen, die ein und ausgingen, und mit Papa im Bett im Wohnzimmer war zu einem Ort des Schmerzes geworden. Wir standen alle um den Bett herum und sie befeuchten seine Lippen ständig. Er atmete schwer. Die Kerze wurde angezündet. Der Priester kam und las ihm vor und sprach mit ihm:

           - Vasile, wie konntest du nur denn so enden? Erinnerst dich, als ich dich auf der Straße fand und ... ich weiß nicht was ... und weiß nicht wie ...

Und ging der Pfarrer dann. Wir blieben starrend. Mein Vater konnte noch nicht gehen, wurde gesagt, er würde auf seine Trauzeugin warten.

Am nächsten Tag sie kam. Sie sprach mit ihm auf eine ruhige Art. Danach schickte man mich zu Schule, mich, die nicht wollte. Ich musste das Haus verlassen, mein Vater sterbend ebenso. Sie versprachen jedoch, mich umgehend zu informieren wenn etwas gäbe. 

Nicht lange darauf die Schulsekretärin steckte ihren Kopf durch die der Tür und rief meine Lehrerin nach draußen. Sie kam zurück und sagte mir, ich solle besser zurückgehen. 

Ich weiß es nicht wie zu beschreiben ist, was ich in dem Moment so fühlte. Ich weiß nur, dass der Weg mir sehr lang vorkam, obwohl wir in der Nähe der Schule wohnten. Ich wollte nur so schnell wie möglich nach Hause und es gelangt mir nicht. Ich kam an dem Garten vorbei, in dem ich zum ersten Mal ein Igel sah, und ich war froh nach Hause laufen tata zu erzählen und am Nachbargarten ging ich auch und versuchte genau zu beobachten wer am Fenster stand, denn diese Leute hatten ein kleines Häuschen dort stehen, in dem zwei Figuren lebten: ein Mann und eine Frau. Je nachdem, wer an diesem Tag hinausging konten wir das Wetter wissen. Wenn er zu sehen war, blieb das Wetter schön und stabil, und wenn sie herauskam, blieb es kalt. In dem Tag war es sie. 

Als ich im Haus eintrat, mehrere Personen kamen auf mich zu. Mein Vater stöhnte nicht mehr, wie er tat, als ich ihn verlassen musste. Die Kerze brannte auf seiner Brust und ich begann zu weinen.

                                ***

Und ich erinnere mich an die Totenwache. 

Mein Vater lag auf dem Wohnzimmertisch im Sarg und wir, meine Cousinen, Tanten und Onkeln, versuchten trotz allem im Schlafzimmer zu schlafen. Von wegen, es war kaum möglich! Irgendwann begannen sie Geschichten zu erzählen, was es noch schlimmer machte. Aber früher oder später, schlief ich doch ein.

Mein Vater, ließen sie nicht allein. In Turnus, zu zweit oder zu tritt, standen ihm bei. Und manchmal tagsüber, in ruhigen Momenten war sogar ich mit ihm allein. Ich hatte solche Angst, dass ich im Schlafzimmer kaum schaffte. Dort suchte ich Zuflucht. 

Vor dem Wohnzimmerfenster, in einem Sarg auf dem Tisch, lag mein Vater still, in einem kürzlich gekauften Anzug und mit einem Hut auf dem Kissen neben seinem Kopf. Ich verstand es nicht, welch Zweck der Hut nur hatte. Die Farbe des Anzuges auch. Ich hatte tata eher in einem dunklen Grau gesehen, aber doch nicht in Milchkaffee. Mama wollte, dass wir Fotos neben den Sarg machen und bestellte ein Fotograph. Und abwechseln alle, mal in der Gruppe oder allein, geradestehend mit einer Hand auf dem Sarg und tata anschauen, mussten wir die Kamera ihre Arbeit machen lassen. In der Gruppe ging es noch, aber allein zu posieren, ich wusste nicht zu überstehen. 

An seinen letzten Tag im Haus, der Sarg begann sich zu bewegen und meine Angst vergrößerte. Freunde trugen ihm raus über dem Stiegenhaus und blieben stehn vor unserem Blockgebäude. Die erste Station. Wir waren viele um ihm herum und heulten alle, einige riefen sein Namen und schrien ihm zu, er solle noch nicht gehen.  

Und so begann der Friedhofgang.

Die Beerdigung war groß. Mein Vater, kannten viele. Wie es üblich war den Menschen ein letzter Gang zu ermöglichen, so wurde tata von einem Lastwagen getragen, oben offen und mit mir neben dem Sarg. Mama wollte mich dort haben. Unten der Rest folgte schweigsam in schwarz, drei Pfarrer und die ganze Suite marschierten vor dem Auto. 

Viel Weinen war zu hören, vor allem dann, wenn der klaxon, die Hupe, mehrerer Autos still war. Von vielen Seitengassen kamen Autos und hupten und reihten sich nach den Menschen ein. Der klaxon war so laut, dass keine unberührt blieb. Dazu eine Gruppe von Musikanten, Romas, begleiteten der Gang. Mein Vater liebte das Akkordeon. 

Eine Station nach der anderen wurde eingelegt. Am Friedhof angekommen, begann das Ganze noch schlimmer zu werden. Der Sarg bekam ein Deckel. Sie schlugen Nägel ein und ließen ihn langsam hinnunter. 

All die drei Tage bei uns daheim der sarg blieb offen. Beim Rausgehen, am dritten Tag, veränderte sich das Gesicht meines Vaters um ein wenig. Dazu wurde gesagt: dem Menschen tut es leid unsere Welt zu verlassen. 

Wir haben alle geheult und wollten mit ihm gehen, während wir Erde in den Händen hielten und mit Blumen in das Grab warfen: möge diese Erde über ihm leicht sein, wurde gerufen und es begann anschließend stark zu gewittern. Auch hier wurde erwähnt: für dieser Mann sogar der Himmel weint.


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